Ganzschriften im DaF-Unterricht
Kinderbücher

Jörg Knobloch
(In: Manfred Huth (Hg.): Lehren und Lernen - interkulturell / antirassistisch. Hits für den Unterricht. Band 5.
Hohengehren u. Lichtenau: Schneider-Verlag u. AOL-Verlag 1997.)

1. Kinderbücher für den interkulturellen Unterricht in der Primarstufe

Mary Hoffmann: Erstaunliche Grace. Aus dem Englischen von Abraham Teuter. Frankfurt/M: Alibaba 1993. 32 Seiten mit farbigen Bildern von Caroline Binch, geb. 25,00 DM. ISBN 3-86042-138-7.
Die kleine Grace lebt mit ihrer Familie in England. Sie liebt Geschichten, kann sich in sie hineinversetzen und kann sie nachspielen. Als in der Klasse "Peter Pan" aufgeführt werden soll, möchte Grace natürlich die Hauptrolle spielen. Aber Grace ist ein Mädchen, und sie ist schwarz. Und selbst in ihrer offensichtlich multikulturellen Klasse scheint klar zu sein, daß Peter Pan von einem weißen Jungen gespielt werden muß. Durch ihr erstaunliches Talent überzeugt sie schließlich alle. Die Aufführung wird ein großer Erfolg.
Ein Bilderbuch aus der Sicht eines farbigen Mädchens in einer multikulturellen Umgebung. Talent und ein auf die Unterstützung ihrer Familie zurückgehendes Selbstbewußtsein helfen ihr, sich gegen latente Diskriminierung zur Wehr zu setzen. Ein Buch, das Anlaß zu Gesprächen sein kann und auch zum Nachspielen auffordert. Ab Klasse 2.

Elisabeth Reuter: Soham. Eine Geschichte vom Fremdsein. München: Ellermann 1993. 32 Seiten mit farbigen Illustrationen, geb. 24,00 DM. ISBN 3-7707-6353-X.
Soham ist ein Mädchen aus einem anderen Land, einem Land, in dem Krieg ist. Sie ist froh, als sie mit ihrer Familie das Asylantenheim verlassen und in eine andere Wohnung ziehen darf. Zu bedrückend waren die Erlebnisse dort: nächtliche Angriffe; brennende Flaschen wurden geworfen - fast wie in dem Krieg, vor dem die Familie geflohen war. Aber auch in der neuen Umgebung erlebt sie Ausländerfeindlichkeit. Vom Spielplatz wird sie vertrieben, beim Einkaufen wird nicht akzeptiert, daß sie kein Schweinefleisch ißt, auch in der neuen Schule spürt sie Ablehnung. Erst als Soham wegläuft, kommt es in der Klasse zu einem klärenden Gespräch und schließlich zu einem im wörtlichen Sinne interkulturellen Unterricht, der zu einer Annäherung der Kinder führt. Ein Bilderbuch, das in gelegentlich plakativer Weise die Problematik des Fremdseins thematisiert.

Herbert Günther: Ole und Okan. Reihe "Sonne, Mond und Sterne". Hamburg: Friedrich Oetinger Verlag 1990. 62 Seiten mit Illustrationen von Petra Probst, geb. 8,80 DM. ISBN 3-7891-1004-3.
Herbert Günther gestaltet hier die Entwicklung der Freundschaft zwischen Ole und seinem Adoptivbruder Okan. Okan, ein türkischer Junge, ist vom Schicksal nicht gerade verwöhnt. Er hat bis zur Adoption im Kinderheim gewohnt. So ist es für ihn nicht leicht, sich in der neuen Umgebung zurechtzufinden. Zusätzliche Probleme gibt es in der Schule, wo er als "Kümmeltürke" Opfer der Aggressionen des Schwarzmüller-Schorsch und seiner Bande wird. Auch Ole braucht Zeit, bis er das oft merkwürdige Verhalten seines neuen Bruders verstehen kann.
Eine Erzählung für Kinder, die die beiden aktuellen Themen Adoption (d.h. Eingewöhnung in eine neue Umgebung) und Ausländerfeindlichkeit in gelungener Weise verbindet. Vom Text ausgehend kann somit auf die spezifische Probleme des Zusammenlebens von Schülerinnen und Schülern unterschiedlicher Herkunft und Kultur in einer Klasse eingegangen werden. Eigene Erfahrungen können in den Unterricht eingebracht werden und sind vielleicht Thema weiterführender Projekte.

Cetin Öner / Orhan Peker: Gülibik der Hahn. Türkisch-deutsche Ausgabe, übersetzt von Cornelius Bischoff. Mülheim: Verlag an der Ruhr 1993. 86 Seiten mit Illustrationen, geb. 19,80 DM (bei Bezug im Klassensatz ab 15 Exemplare je DM 13,00 DM). ISBN 3-86072-112-7.
Das Leben eines türkischen Jungen auf einem Bauernhof im anatolischen Hochland. Die Eltern sind arm. Spielzeug gibt es nicht. So rückt der Hahn Gülibik in den Mittelpunkt des kindlichen Interesses, der für den Jungen zum vertrauten Freund wird. Er lebt und leidet mit dem Tier, hilft ihm, eine Krankheit zu überstehen, rettet ihn vor dem Verkauf und muß doch seinen Tod erleben: In der Hoffnung auf Gewinn opfert der Vater den Hahn in einem landesüblichen Hahnenkampf.
Das Buch führt anschaulich, kindgemäß und in der Tradition orientalischer Erzählkunst in das Leben eines türkischen Bauernjungen ein. Der Blick des Lesers wird dabei auf die Beziehung zwischen Kind und Tier konzentriert, andere Aspekte des türkischen Land- und Familienlebens bleiben ausgespart. Bei der Arbeit mit dem Buch unter interkulturellen Gesichtspunkten helfen Arbeitsblätter (Kopiervorlagen), die in der Mappe von Henny Küppers/Wolfgang Barth: Leben in der Türkei (Mülheim: Verlag an der Ruhr 1992) enthalten sind. Allerdings wird hier auf die latente Problematik nicht eingegangen: Die schulische Auseinandersetzung mit "rückständigen" Kulturen, wie sie hier exemplarisch angeboten werden, könnte auch kontraproduktiv wirken. Ab Klasse 2.

Jo Pestum (Hg.): Der Feuerkopf. Geschichten vom Anderssein. München: Ellermann 1994. 144 Seiten mit Illustrationen von Ursula Kirchberg, geb. 16,80 DM. ISBN 3-7707-3009-7.
Zehn bekannte Kinderbuchautorinnen und -autoren (Nortrud Boge-Erli, Achim Bröger, Ursula Fuchs, Eveline Hasler, Klaus Kordon, Paul MaarGudrun Mebs, Jo Pestum und Renate Welsh) nähern sich auf sehr unterschiedliche Weise dem Thema Fremdenfeindlichkeit. Da werden Vorurteile zur Sprache gebracht, Ängste und Mißverständnisse geäußert aber auch Freundschaften geschlossen und Wege zur Verständigung gefunden - Wege auch zu einem multikulturellen Miteinander.
Ein Buch, das Denkanstöße geben und Mut machen kann. Im Nachwort von Barbara John, der Ausländerbeauftragten des Berliner Senats heißt es dazu: "Das Fitneßstudio für Mut ist überall: in der Schulklasse, auf dem Spielplatz, auf der Straße, in der U-Bahn und und und." - Ab Klasse 2.

Ursula Wölfel: Die grauen und die grünen Felder. Wahre Geschichten. Kevelaer: Anrich Verlag 1970. 175 Seiten mit Zeichnungen von Bettina Wölfel, brosch. 8,80 DM. ISBN 3-928352-30-X.
Eine Fülle von Geschichten, die vom Miteinanderleben in einer Welt erzählen, die als realistisch angesehen werden kann. Von alltäglichen Vorurteilen ist die Rede, von Einheimischen und Ausländern, vom Leben hier und in den Ländern der sog. Dritten Welt, von Angst, von den großen und kleinen Gemeinheiten. Trotz allem: die Autorin verbreitet keine Hoffnungslosigkeit, ihre Botschaft ist: Man kann miteiander auskommen.
Für die kurzen Geschichten verwendet Ursula Wölfel sehr einfache Sprache, das erlaubt in der Klasse ein Arbeiten mit Schülerinnen und Schüler von sehr unterschiedlicher Sprachkompetenz. - Ab Klasse 3.

Karin Gündisch: Im Land der Schokolade und Bananen. Gullivers Bücher. Weinheim: Beltz & Gelberg 1990. 119 Seiten mit llustrationen von Peter Knorr. Taschenbuch. 6,80DM. ISBN 3-407-78077-X.
Ingrid und Uwe sind Aussiedlerkinder aus Rumänien, die sich nun in der Wirklichkeit der Bundesrepublik zurechtfinden müssen. Das "Land der Schokolade und Bananen" zeigt sich dabei immer wieder von einer anderen, unbekannten, manchmal auch bedrohlichen Seite. Die Autorin gestaltet diesen Eingewöhnungsprozeß in fast 50 kurzen Kapiteln, die jeweils als eigenständige Geschichten gelten können. Sie thematisiert dabei auch ihr eigenes Schicksal.
Die Gründe, warum Kinder aus den verschiedensten Ländern in die Bundesrepublik kommen, hier leben und am Unterricht teilnehmen, sind sehr unterschiedlich. Die Probleme sind jedoch meist ähnlich. So fällt es nicht schwer, ausgehend von den Texten des Buches die Lebenswirklichkeit der Schülerinnen und Schüler aufzugreifen und Probleme durchschaubarer zu machen. Ab Klasse 3.

Franz Hohler: Dr. Parkplatz. Ravensburg: Otto Maier Verlag 1992. 64 Seiten mit Zeichnungen von Matthias Berthold. Taschenbuch. 6,80 DM. ISBN3-473-51830-1.
Ein Fremder läßt sich in einer kleinen Stadt in der Schweiz nieder. Er ist "Dr." aber kein Arzt. Er verschreibt keine Medizin, sondern erteilt einfach nur Ratschläge. Das führt dazu, daß sich die Ärzte des Städtchens gegen ihn wenden, er muß innerhalb von dreißig Tagen die Stadt verlassen. Da aber passieren merkwürdige Dinge: Die Bürger werden durch das Hupen sämtlicher Einsatzfahrzeuge geweckt, ohne daß auch nur ein Wagen zu sehen ist, unheimliches Murmeln ist zu vernehmen, es gibt eine Fliegenplage ... Dem Fremden gelingt es, der Ursache für diese Vorfälle auf die Spur zu kommen und die Stadt von den Plagen zu befreien. Nun darf er bis zu seinem Lebensende in der Stadt bleiben.
Das Buch zeigt die Problematik des Fremdseins auf, Verleumdung und üble Nachrede werden als Instrumente des Fremdenhasses deutlich. Franz Hohler problematisiert in motivierender und kindgemäßer Weise unterschiedliche Formen des menschlichen Miteinanders. Die Lektüre zeigt eindringlich, daß es in jeder Stadt Fremde gibt, die bedroht sind, daß es aber immer auch Menschen gibt, die sich auf die großen und kleinen Sorgen ihrer Mitmenschen einlassen.
Materialien zum Buch sind enthalten in Silja Aretz (Hrsg.): Lust auf Lesen - Schnuppertexte 3-4. Lichtenau: AOL-Verlag 1995, außerdem gibt es im Otto Maier Verlag zum Buch eine Handreichung von Franz Waldherr (Ravensburg 1993). - Klasse 3 -6.

Peter Härtling: Ben liebt Anna. Kinderroman. Weinheim: Beltz&Gelberg 1979. 78 Seiten mit Zeichnungen von Sophie Brandes, geb. 16,80 DM. ISBN 3-407-80551-9. Taschenbuch 6,80 DM, ISBN 3-407-78001-X.
Peter Härtlings berühmte Geschichte einer ersten Liebe zwischen dem fast 10jährigen Ben(jamin) und dem aus Polen stammenden Aussiedlermädchen Anna. Anna wird zunächst in der Klasse abgelehnt. Sie ist nicht nur eine Neue, eine Fremd, sie verhält sich auch anders. Und ihr Leben und das ihrer Familie ist selbst für Ben zunächst kaum nachvollziehbar, gewinnt aber zunehmend an Vertrautheit.
Anna zeigt, wie schwer es ist, sich in einer neuen Umgebung einzuleben - selbst dann, wenn man ja eigentlich gar keine "Fremde" ist. Auch den jungen Leserinnen und Lesern wird Anna im Verlauf der immer vertrauter. Ihre Herkunft verliert an Bedeutung, der Begriff der Fremdheit erfährt hier eine liebenswerte Relativierung, die didaktische Möglichkeiten im Rahmen eines Interkulturellen Unterrichts eröffnet.
Materialien zum Buch sind enthalten in Sigrid Südhoff / Markus Rolfes: Literaturkartei zu Peter Härtlings Erzählung "Ben liebt Anna". Mühlheim: Verlag an der Ruhr 1994. Zum Buch ist auch eine Hörspiel-Kassette lieferbar (Deutsche Grammophon junior MC 3346 062). - Ab Klasse 4.

Noch mehr Kinderbücher
Manfred Huth

Carlos und Anna. Fremde werden Freunde. Frieden, Freiheit, Gerechtigkeit. Material für Unterricht und Bildungsarbeit, eXplizit 40. Hg. v. d. Deutschen Gesellschaft für die Vereinten Nationen (DGVN). Bad Honnef: Horlemann Verlag 1992. 24 S., A4-Format, 12,00 DM. ISBN 3-927905-47-X. - Bezug: Horlemann Verlag, Lohfelder Str. 14, 5340 Bad Honnef.
Dieses Heft ist die deutsche Fassung eines schwedischen Buches von Håkan Wall. Die Broschüre - konzipiert für die Grundschule, aber durchaus zu verwenden bis zur 7. Klasse - thematisiert Krieg und Asylsuche anhand der Biografie des Flüchtlingskind Carlos. Die AutorInnen und Herausgeber haben die Absicht, durch die Veröffentlichung negative Lebenserfahrungen von Flüchtlingen für Kinder verständlich zu machen, Enststehung von Vorurteilen darzustellen. Diese Ziele werden durch die Verwendung des Buches im Unterricht ganz sicher erreicht. Weil es inzwischen in jeder Lerngruppe einen Carlos gibt, der seine persönlichen Erfahrungen zu diesem Erfahrungen in das Unterrichtsgespräch einbringen kann und wird. Die Broschüre ist für den Unterricht aufbereitet durch Fragen, Denkanstöße sowie Malanregungen, die an den entsprechenden Stellen im Text stehen. Auch gibt es eine gute Übersicht zu den Rechten eines Kindes und ein Lied. Am Schluß ist noch eine Literatur- und Medienliste sowie eine Zusammenstellung von für das Thema wichtigen Adressen. - Ab Klasse 3.

Willi Fährmann: Der überaus starke Willibald. Würzburg: Arena Verlag 1986. 86 S., 19,80 DM. ISBN 3-401-04063-7.
Diese Fabel bzw. Parabel zum Thema »faschistische Machterfreifung« ist hervorragend geschrieben und bebildert und eignet sich schon zum Lesen mit ganz kleinen Kindern. Der überaus starke Willibald erhält angesichts einer vermuteten Gefahr eines Tages die Macht in der Gesellschaft von Hausmäusen, stabilisiert seine Herrschaft durch leere Versprechen und eine alles kontrollierende HelferInnenclique, in welcher der demagogische Mäusejosef als Chefideologe der Mäusediktatureine herausragende Stellung einnimmt. Die Freiheiten der anderen Mäuse werden stetig reduziert, die klug, Geschichten erzählende Albinomaus wird rassistisch in der Rolle der »Minderheit« gedrängt. Durch Ungeschicklichkeit verliert Willibald seine Macht und wird abgesetzt, die Mäuse wählen einen neuen Präsidenten. Ab Klasse 4.

Michaela Ulich / Pamela Oberhuemer (Hrsg.): Es war einmal, es war keinmal ...Ein multikulturelles Lese- und Arbeitsbuch. Weinheim/Basel: Beltz 1992. 254 Seiten mit Zeichnungen und Fotos, Paperback, 38,00 DM. ISBN 3-407-62090-X.
Um es vorweg zu sagen: Es handelt sich bei diesem Titel nicht um ein Kinderbuch im eigentlichen Sinne. Die Herausgeberinnen wenden sich mit einer Fülle von unterschiedlichen Texten (und Bildern) aus den "klassischen" Anwerbeländern Türkei, (ehemaliges) Jugoslawien, Italien, Spanien, Griechenland und Portugal vielmehr an Lehrer/innen (bzw. Erzieherinnen), die aber mit den hier angebotenen Materialien im Rahmen eines interkulturellen Unterrichts in der Primarstufe arbeiten können.
Überwiegend handelt es sich um Märchen und Geschichten, die charakteristisch für die Kultur des jeweiligen Landes sind (etwa um die Figur des türkischen Keloglan), immer wieder aber auch grenzüberschreitenden Charakter haben. Das Grimmsche Rotkäppchen ist z.B. in diesem Sinne ein interkulturelles Märchen. Texte und Bilder werden durch didaktische Hinweise und Anregungen ergänzt, so daß aus einer Anthologie mit Texten für die Primarstufe schließlich ein Handbuch für den interkulturellen Literaturunterricht wird.
Zu einzelnen Texte sind zusätzlich Ton- und Vidokassetten lieferbar (Reihe "medien interKulturell, Beltz Verlag), zu diesen wiederum Begleithefte. Ausführliche Informationen über Beltz Verlag, Postfach 100154, 69441 Weinheim. Ab klasse 1.

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