Manfred Huth
In: HLZ 10/2001, S. 31 f.
Die Schule Slomanstieg wird zur Zeit von mehr als 500 Schülern/innen
besucht, nur etwa 10 Prozent sind deutsche MuttersprachlerInnen. Für
ca. 90% der SchülerInnen ist Deutsch die Zweit?, Dritt- oder gar
Viertsprache. Insgesamt besuchen Schüler aus 31 Ländern mit mehr
als 31 Sprachen unsere Schule.
Angesichts der besorgniserregenden Entwicklung, dass die Zahl migranter
SchülerInnen ohne Schulabschluss und ohne Ausbildung immer noch viel
zu hoch ist und angesichts der Tatsache, dass der Schulabschluss weitgehend
von den sprachlichen Fähigkeiten der Schüler abhängig ist,
gehen wir davon aus, dass es nicht genügt nur kompensatorisch die deutsche
Sprache zu fördern, sondern die Kinder auch als SprecherInnen ihrer
Herkunftssprachen wahrzunehmen. Studien, u.a. die von der Hamburger
Schulbehörde in Auftrag gegebene und kürzlich von Prof. Hans Reich
veröffentlichte, haben ergeben, dass es ohne solides Beherrschen der
Herkunftssprache keine guten Ergebnisse in der Zweitsprache geben kann -
ganz davon abgesehen, dass Mehr- und Zweisprachigkeit eine bislang nicht
wahrgenommene gesellschaftliche Ressource ist.
Mit unserer Arbeit verfolgen wir das Ziel, die Herkunftssprachen der
Schülerinnen und Schüler, also die gegebene sprachliche und kulturelle
Vielfalt in allen Fächern des Regelunterrichts mehr zu würdigen.
Den vielfach vorherrschenden "monolingualen Habitus" (Gogolin 1994) in der
Unterrichtspraxis wollen wir transformieren zum Unterricht, der Sprachenvielfalt
integriert.
Uns ist es bei diesem Prozess wichtig, dass die in den Lerngruppen vertretenen
Sprachen im Unterricht aktiv in Erscheinung treten und in das
Unterrichtsgeschehen eingebaut werden. Dabei geht es nicht darum, neue
multilinguale und multikulturelle Themen zu generieren, sondern traditionellen,
gängigen Themen eine mehrsprachige und mehrkulturelle Perspektive zu
geben.
Im Zentrum steht die Entwicklung von Ideen, Materialien und Unterrichtsprojekten,
die im Unterricht - sowohl in der Sekundarstufe, aber auch im Primar- und
Vorschulbereich - eingesetzt werden können.
Die verschiedenen Sprachen und Kulturen der Lerngruppe sollen im Unterricht
jeden Faches präsent sein, fremdsprachige Elemente sollen integraler
Bestandteil des Regelunterrichts werden.
Z.B. kann ein Rollenspiel in Farsi zu einer Szene des gerade behandelten afghanischen Märchens SchülerInnen Authentizität erfahren lassen.
Z.B. die Produktion eines Hörspiels in zwei oder mehr Sprachen, ein zwei- oder mehrsprachiges Theaterstück, mehrsprachig kommentierte Bilder und/oder Fotos bzw. mehrsprachige Ausstellungen, die Übersetzung literarischer Texte bzw. eigener Textproduktionen in die in der Lerngruppe vertretenen Sprachen ...
Z.B. können Sach- und literarische Texte mit entsprechenden Arbeitsanregungen und Aufträgen versehen werden, Unterrichtsskizzen, Arbeitsblätter, Projektbeschreibungen, Entwürfe zur Herstellung von Spielen und Übungsmaterialien für eigenverantwortliches Arbeiten und Freiarbeit, Minisprachkurse, bi- und multilinguale Textangebote usw. erstellt bzw. dokumentiert werden, Fotos, Bilder, Bausteine zum Einstieg in andere Sprachen gesammelt werden, ...
Z.B. zweisprachige Bilderbücher, mehrsprachige Lesebücher wie z.B. das griechisch-deutsch-türkische "Kalimerhaba" (Rimiosini-Verlag, Köln 1992) ... derartige Unterrichtsmaterialien faszinieren mehrsprachige Klassen - nur leider gibt es wenig Vergleichbares.
Dass das schriftliche Malnehmen nicht nur in der "deutschen Art" zu richtigen Ergebnissen führt, kann im Mathematikunterricht thematisiert werden.
Z.B. Redewendungen und Sprichwörter verdeutlichen die Lebens- und Erfahrungssituationen anderer Kulturen ... aber auch die universalen grenzen- und kulturenüberschreitenden.
Sogar die Sprache der Tiere in anderen Kulturen kann unterschiedlich sein ... so bellt der Hund nicht weltweit "wau-wau", sondern z.B. in Indonesien "guk-guk", in England "bow-bow", in der Türkey "hav-hav" ... er passt sich anscheinend seiner jeweiligen Heimatkultur an.
Wir wollen Materialien und Unterrichtsanregungen schaffen, welche mehrere Sprachen quasi natürlich in den Unterricht integrieren, um zwei- und mehrsprachige SchülerInnen dadurch anzusprechen und ... um einsprachige SchülerInnen für die Vorteile der Mehrsprachigkeit zu sensibilisieren.
Konsequenzen für Erziehung und Unterricht
Integration der Herkunftssprachen in den Unterricht ... sowie - mehr noch
- interkulturelle Bildung und Erziehung setzen voraus, dass im Unterricht
angstfrei über eigne und andere Kulturen gesprochen werden kann, dass
Differenzen benannt, akzeptiert aber auch in Frage gestellt und kritisiert
werden dürfen.
Unser Ansatz hat natürlich auch Folgen hinsichtlich pädagogischen
Rollenverständnisses, da er LehrerInnen voraussetzt, die sich auch als
Lernende verstehen, "echte" Fragen haben und die zuhören können.
Dieser Ansatz erfordert weiterhin Veränderungen hinsichtlich der Unterrichtsmethoden:
Verstärkung eigenverantwortlicher Lern- und Arbeitsformen
Projekt- und Handlungsorientierung als methodisches Prinzip
Bereitstellung von Arbeitsaufträgen und Lernsituationen, die nur mit Hilfe der spezifischen Kompetenzen zwei- und mehrsprachiger SchülerInnen bewältigt werden können.
Soll die vielsprachige und multikulturelle Lebenswelt der Lernenden Ausgangspunkt
des Unterrichts werden, heißt das auch, dass Unterrichtsmaterial z.T.
von den SchülerInnen selbst beschafft werden muss (Materialsammlung
in Familien, Geschäften, Institutionen des Stadttteils, Interviews,
Eigenproduktion von Texten, Filmen, MultimediaPräsentationen,
TonBildSchauen, ...).
Der multilinguale und multikulturelle Ansatz macht es letztlich notwendig,
dass Schule und Unterricht sich dem Stadtteil mit seinen Institutionen und
Personen öffnen müssen ... und andererseits, dass Schule im Stadtteil
Öffentlichkeit herstellen soll ... also in den Stadtteil gehen muss,
um die Ergebnisse des forschenden Lernens dort vorzustellen.
Hilfreiche KOSTENLOSE Materialien (es handelt sich hier zwar um von BMW gesponsertes Material, es gab für die ErstellerInnen aber keine inhaltlichen Auflagen!):
Alles KOSTENLOS bestellen, mit Schulstempel (am besten per Fax): BMW AG,
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Konstanze Carreras, Petuelring 130,
D-80788 München, Fax-Nummer: 089 382 280 17, e-mail:
konstanze.carreras@bmw.de,
Internet:
http://www.press.bmwgroup.com |