Erste Grenzüberschreitung ... Spanien geht nach Frankreich ...
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«Was kann Lektüre im Unterricht
Deutsch als Fremdsprache
heute bedeuten ? »
Antwort
« Die EURO-Rucksackbücherei »
Jörg Sterner
http://www.ac-nantes.fr/peda/disc/lv/allemand/prof/pedago/tousnivo/rucksack/ruck1.htm
In 6 Schulwochen von Januar bis zu den Februarferien 1999 haben zwei «
classes de 3°, euro » des Collège Fénelon in Lyon
ein Leseprojekt « Die Rucksackbücherei » im Deutschunterricht
durchgeführt. Die 14- jährigen SchülerInnen haben aus einem
Rucksack voller Jugendliteratur « ihr » Buch ausgewählt und
haben es im Deutschunterricht sowie in ihrer Freizeit gelesen.
Dabei wurden Lesetechniken entwickelt und praktiziert. Anschliessend hat
jeder Schüler eine persönliche Interpretation seiner Lektüre
in bildlicher und mündlicher Form erstellt, um sie zunächst den
KlassenkameradInnen und dann « fremden » SchülerInnen
vorzustellen.
So haben unsere SchülerInnen im März 1999 ihre Bücher und
Projektergebnisse, einer Austauschklasse (10.Klasse) des Kronberg Gymnasiums
Aschaffenburg zu Gast im Collège Fénelon und einer « classe
de 4° », section germanophone » der « Cité Scolaire
Internationale de Lyon » vorgestellt.
Wie in der Einleitung angedeutet, besteht das Projekt «
Rucksackbücherei » aus zwei Teilen : der Lesephase und der
Präsentationsphase.
Während der Lese-Phase haben die einzelnen SchülerInnen ein
erstaunliches Engagement und Interesse für Jugendliteratur und für
diese schülerzentrierte Unterrichtsform gezeigt.
Für den projektleitenden Lehrer gehörte am Anfang sicher eine gewisse
Portion Mut dazu, eine traditionelle Lehrer-Rolle aufzugeben und sich z.B.
bei der Lektürephase nicht « allwissend » in den Mittelpunkt
der gemeinsamen Arbeit zu stellen. Bei dieser expertimentellen Unterrichtsform
ging es mehr darum, jungen Leuten in den Deutschstunden Gelegenheit zu geben,
autonom während des Unterrichts zu lesen. Der Lehrer beschränkte
sich auf die Rolle eines methodologischen Ratgebers oder « lebenden
» Wortschatzes.
Als Auftakt organisierten wir eine Lesenacht im Collège. Nach einem
gemeinsamen Abendessen fingen die SchüleInnen gegen 20 Uhr an, ihre
Bücher zu lesen und konzentrierten sich fast bis Mitternacht auf ihre
Lektüren.
Die Teilnahme mehrerer auch fachfremder Lehrer an dieser Lesenacht, (wie
z.B. dem Sportlehrer, Gilbert Pagay, der Englischlehrerin, Christine Sterner,
bzw. dem Direktor des Collège Fénelon, Michel Duchamp, sowie
dem Fachberater DaF, Wolfgang Fischer) half den SchülerInnen, bei der
zugegebenermassen « schweren » Lektüre der ersten Seiten nicht
gleich den Mut zu verlieren.
Viel Lesearbeit fand in den 3 Wochenstunden des Fachs « Allemand »
in der Bibliothek des Collège Fénelon statt, weil jeder
Schüler dort einen von der Natur des Orts sehr geeigneten Arbeitsplatz
für ein « ruhiges » Lesen und auch Lexika für die
Vokabelarbeit fand. Viele SchülerInnen mussten auch zu Hause viel lesen,
was wegen der französischen Ganztagsschule und den Hausaufgaben in den
anderen Fächern nicht problemlos war. Am Ende der Lektürephase
waren alle SchülerInnen sich einig, dass ihre Arbeitskraft in dieser
Zeit bis auf das Äusserste gefordert worden war. Sie waren jedoch alle
sehr stolz, die Lektüre eines Buchs in deutscher Sprache glücklich
fertig gebracht zu haben.
Im « Finale » unserer Rucksackbibliothek haben wir, SchülerInnen
und LehrerInnen, höchstinteressanten Darbietungen in Form von zwei richtigen
« salons littéraires » über bekannte und aktuelle
Jugendliteratur beigewohnt.
Die Grundidee dieses Lektüreprojekts ist nämlich bestechend einfach
und fördert die Diskussion in deutscher Sprache zwischen den Teilnehmern
dieses Projekts :
Anstatt, wie sonst traditionell üblich in einer Klasse alle
SchülerInnen den gleichen Lektüretext bearbeiten zu lassen,
wählte bei unserem Projekt jeder einzelne Schüler aus einem Rucksack
voller Jugendbücher ein Buch nach seinem Geschmack und seinem
Lese-Können aus. (Literaturliste, siehe bitte Anhang, bzw. Handreichung
von M. HUTH). Dadurch kannte jeder eine andere Geschichte als seine
KlassenkameradInnen, was die Neugierde der anderen weckte und eine «
natürliche » Kommunikationssituation für ein « literarisches
Frage- und Antwort-Spiel » in der Klasse ergab.
«Geübte und fleissige» LeserInnen nahmen z.B. ein Buch, weil
sie den Namen des Autors wiedererkannten, da Bücher des Autors vielleicht
schon in französischer Übersetzung vorlagen und der Schüler
seinen Stil mochte. Andere SchülerInnen entschieden sich nach Anlesen
der ersten Seite für eine Lektüre, vertrauten einem ansprechenden
Klappentext, oder suchten eine Lektüre, die, weil grossgeschrieben oder
als Easy-reader vorliegend, ihrem Geschmack und Lesevermögen entsprach.
Andere LeserInnen wählten ein Buch, weil es 2 oder 3 Mal vorlag und
sie die Idee einer gemeinsamen Lese-Arbeit in der Kleingruppe motivierte.
Bei der anschliessenden Lese-Phase kam es darauf an, das jeder Schüler
seine Lektüre « portionierte » und in einem festgemachten
Zeitrahmen abschloss.
Beim individuellen Lesen musste jeder Schüler ein Lesetagebuch führen.
In seinem Lesetagebuch dokumentierte jeder Leser das tägliches Lesepensum,
indem er für jeden Abschnitt jeweils eine kurze Inhaltsangabe, mit Fragen,
Kommentaren und einer Vokabelliste der neuen, wichtigen Wörter notierte.
Dieses Lesetagebuch half dem Lehrer, nicht nur die Lesearbeit eines
Schülers täglich zu verfolgen. Es ermöglichte auch im Unterricht,
während der Rest der Klasse autonom las, einzelne Schüler individuell
zu beraten und ihr Schreibvermögen durch Korrekturhinweise der für
jeden Schüler typischen « Fehler » langsam und stetig zu
verbessern.
Eine Benotung war beim Durchsehen der Lektüretagebücher auch
möglich, wobei aber nicht die Anzahl der gemachten Schreibfehler die
Note bestimmte, sondern die stetige und regelmässige Lesearbeit, die
sich in einer Inhaltsangabe, in einer Vokabelliste und in Kommentaren, bzw
in Fragen zum Verständnis der jeweiligen Textpassage niederschlug.
Dass ein Schüler Fehler beim Schreiben machte, erschien uns ganz
natürlich : für uns war es sogar ein gutes Zeichen, denn diese
Fehler waren ein sicheres Indiz dafür, dass dieser Schüler gerade
dabei war, schreiben zu lernen. Wenn ein Lerner dank der Korrekturhinweise
es peu à peu schaffte, seine « Lieblingsfehler » nicht mehr
zu machen, war er beim langwierigen Erwerb der Schreibfähigkeit in der
Fremdsprache bereits einen guten Schritt weiter.
Das Wichtige dabei war nur, dass jeder Schüler regelmässig las,
eigene und individualisierte Verstehenstechniken und -strategien erworb,
vor allem Dingen aber selber schrieb und dabei eben « Schreiben »
übte..
Schon beim ersten Durchführen der « Rucksackbibliothek » hatte
jeder Schüler des Collège Fénelon dank dieser
schülerzentrierten und für jeden Leser sehr intensiven Unterrichtform
individuell grosse Fortschritte in puncto Lese- und Schreibfertigkeit gemacht.
Erstaunlich war, wie gut jeder Schüler auch bei der Vorbereitung und
Durchführung der mündlichen Präsentation seine mündliche
Ausdrucksfähigkeit intensiv trainieren konnte.
Im allgemeinen ist es für einen 14-jährigen Schüler schon
in seiner Muttersprache nicht einfach, vor einer Gruppe französischer
oder ( was noch viel schwieriger ist,) deutscher Schüler das Wort zu
ergreifen.
Im Finale des Projekts hatten unsere SchüerInnen ziemlich gut gelernt,
auch unbekannten ZuhörerInnen ihre Lektüre verständlich, d.h.
kurz, klar und lebhaft und noch dazu auf Deutsch zu präsentieren. Sie
gewöhnten sich langsam daran, auf Fragen des Publikums einzugehen. Sie
hatten die altersmässig doch weit verbreitete Scheu verloren, vor einer
Gruppe zu sprechen, frei einen kurzen Vortrag zu halten, ohne dabei einen
Skript vorzulesen.
Die Erkenntnis, dass die Steigerung der mündlichen Ausdrucksfähigkeit
im allgemeinen SchülerInnen hilft, auch selbstbewusster in anderen
Schulfächern aufzutreten, gibt Denkansätze für weitere auch
fächerübergreifende Projekte in dieser Altersklasse .
Unser besonderer Dank geht an die DaF-Fachberater aus Madrid und Lyon, Manfred Huth und Wolfgang Fischer sowie an das Goethe Institut Lyon.
Ohne das Vorstellungsseminar am 25. September 1998 im Goethe Institut Lyon und das grosse Engagement von Manfred Huth hätten wir in Lyon diese sehr zeitgemässe Unterrichtsform für DaF nie kennengelernt, geschweige denn gewagt durchzuführen.
Wolfgang Fischer, dem Fachberater aus Lyon, der mit grosser Ausdauer und technischem Geschick unser Projekt im Collège Fénelon im Januar und Februar 1999 unser Projekt begleitet und auf Video augenommen hat , verdanken wir ein sehr aussagestarkes Filmdokument .
Auf Einladung des « Inspecteur Pédagogique Régional »,
Herrn V. Weiss, sowie des « CRDP de Lyon » und dank des Videofilms
von Herrn W. Fischer konnte das Collège Fénelon dieses
Lektüreprojekt am 19. Januar 2000 im Rahmen der Ausstellung «
littératures en dialogue » in der « Bibliothèque
municipale de Lyon la Part Dieu » einem interessierten
DaF-LehrerInnen-Publikum vorstellen.
Nach dieser sehr positiven Gesamtbilanz haben wir im Collège Fénelon
im laufenden Schuljahr 1999/2000, d.h. im Januar und Februar 2000 dieses
Lektüre-Projekt zum zweiten Mal in zwei « classes de 3° »
angefangen.
Unser Dank geht hierbei auch an Frau Peter, Praktikantin im Goethe-Institut Lyon und Studentin der Uni Heidelberg, die als « lebendiges » Lexikon unsere SchülerInnen während der Lesearbeit in den Unterrichtstunden tatkräftig unterstützte.
Um unsere dies-jährigen französischen Schüler zu motivieren
, ihre derzeitigen Lektüretexte originell zu präsentieren, haben
wir zusammen mit Herrn Manfred HUTH, DaF-Fachberater in Madrid, am 9. Februar
2000 im Collège Fénelon in Lyon die Welt-Premiere der ersten
grenzüberschreitenden « Euro-Rucksackbücherei »
organisiert.
Wir haben 5 SchülerInnen aus San Sebastien und aus Sevilla in unserem
Collège empfangen, die in ihren Deutschstunden in Spanien eine
Rucksackbücherei durchgeführt hatten.
Sie haben ihre Arbeit unseren SchülerInnen in Präsenz des
Generalkonsuls der Bundesrepublik Deutschland, Herrn G. Blaurock, der Leiterin
der pädagogischen Verbindungsarbeit des Goethe-Instituts Lyon, Frau
A. Schäfer und Marie-José Gascon, Leiterin des spanischen
Kulturzentrums von Lyon, « la agrupaçion de lengua y cultura
espagnole », vorgestellt.
Im Laufe dieser Präsentation kam es zwischen den jungen SpanierInnen,
dem französischen Schüler-Publikum, den LehrerInnen und
Ehrengästen zu interessanten Dialogen über die in den spanischen
Schulklassen gelesene deutsche Jugendliteratur und einem Meinungsaustausch
über unser Projekt.
Manfred Huth und Markus Amberger, DaF-Lehrer aus Sevilla, haben im Februar die Strapazen der Vorbereitungsarbeit und Reise nach Lyon zur Welt-Premiere der « Euro-Rucksackbücherei » auf sich genommen, wofür wir Ihnen danken.
Unser ganz spezieller Dank geht an Ana Morugan, Ana Garcia und Mario Lopez aus Sevilla sowie an Nagore Larranaga Erquicia und Sara Ruiz Bueno aus San Sabastian.
Diese fünf jungen SpanierInnen haben ihre beachtlichen « Exposés » und Arbeiten nicht nur am 9. Februar im Collège Fénelon, sondern anschliessend in den Deutschklassen von Madame Boluix im « Collège de Vaise » und vor den SchülerInnen von Madame Fraignaud im « Collège Mauvert » in Villeurbanne in Beisein vom « Inspecteur Pédagogique Régional », Herrn V. Weiss vorgestellt .
Diese 5 jungen EuropäerInnen haben durch ihre Arbeit nicht nur ihre Lese- bzw. Schreibfertigkeit und ihre Fähigkeit zum mündlichem Ausdruck in Deutsch, sondern auch ein ganz neue Form eines Europa- Engagements von jungen Leuten eindrucksvoll unter Beweis gestellt.
Last but not least danken wir hier hier ganz herzlich auch den 5 Familien des Collège Fénelon, den Familien Aknin, Buffaud, Filiu, Heyaca und Schulhof, deren « grenzenlose » Gastfreundschaft die Aufnahme der spanischen Gäste und die Durchführung eines weiteren Europa-Projekts in unserem Collège ermöglicht hat.
N.B.
Bei Interesse für eine zukünftige Zusammenarbeit oder für
eine Präsentation dieses Projekts bitte ich die Kollegen aus dem In-
und Ausland, entweder mit Manfred Huth, dem « Erfinder der
Euro-Rucksackbücherei », mittels seiner Web-Seite
(http://www.Manfred-Huth.de) oder per FaxAdresse ++49 40 7511 039 481, oder
auch mit mir direkt Kontakt aufzunehmen:
Jörg Sterner, Collège Fénelon, 1, rue Paul-Michel Perret,
F-69006 Lyon, Tél.: 0033-4 78 93 18 60 Télécopie : 0033-4
72 82 02 51, privat : "Le Voltaire", 75, rue Paul Bert, F - 6 9 0 0 3 Lyon,
Tél und fax. 04 78 60 68 51, E-Mail :
sterner@infonie.fr
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